Von
außen wirkt der Firmensitz im Stuttgarter Gewerbegebiet Fasanenhof
unscheinbar. Ein Hinterhof, eine Laderampe, ein Klingelschild mit
dutzenden Namen – einer davon, Mecasa. Im Innern des Gebäudes erwarten
den Besucher dann aber eine überraschend moderne Einrichtung und das
typische Start-up-Flair: Geschäftigkeit, die von einer Handvoll
hochmotivierter junger Leute ausgestrahlt wird. Einer von ihnen ist
Oliver Weiss, ein junger Mann mit blondem Haar, modischem Bart und einer
natürlichen Freundlichkeit. Der 29-Jährige hat 2017 zusammen mit
Freunden die Pflegevermittlung Mecasa gegründet. „Zu Beginn unserer
Arbeit sind rund 35 Prozent unserer Duos aus Betreuungskraft und
Pflegebedürftigem bereits nach kurzer Zeit gescheitert“, erzählt Weiss.
Die Frage stand im Raum: Warum?
# Einfühlsam zum Match
Professor Hagemann im Hörsaal der Uni Heidelberg während der Konzeption des Matchingmodells
Es stellte sich schnell heraus, dass die meisten
Betreuungsbeziehungen wegen zwischenmenschlicher Konflikte fehlschlugen:
„Bei der Pflege kommt man sich ja sehr nah und teilt sich über lange
Zeit den gleichen Haushalt. Da sind Reibereien manchmal
vorprogrammiert“, erklärt Weiss. Das Gute sei aber, je mehr man in der
Persönlichkeit übereinstimme, desto seltener und harmloser seien
Konflikte. Um in Zukunft nur noch Pflegebedürftige und Betreuungskräfte
mit zueinander passenden Persönlichkeiten, vergleichbaren Interessen und
verwandtem Humor zusammenzuführen, entwickelte Mecasa mit dem
Psychologen Prof. Dr. Dirk Hagemann von der Universität Heidelberg einen
entsprechenden Fragenkatalog. Pflegebedürftige oder ihre Angehörigen
füllen den Fragebogen aus, ein Algorithmus wählt aus einer Datenbank die
optimale Betreuungskraft. Im Anschluss können sich Betreuungskraft und
Pflegebedürftiger über Video kennenlernen. Danach wird entschieden, ob’s
passt. „Damit hat sich die Abbruchquote in den Betreuungsbeziehungen
auf 17 Prozent reduziert“, erzählt Weiss stolz.
# Im Zweifel für die Betreuungskraft
Aber längst nicht jede Betreuungskraft, die charakterlich zum
Pflegebedürftigen passt, wird automatisch vermittelt. „Wir müssen nicht
nur die Interessen der Pflegebedürftigen sondern auch die der
Betreuungskräfte wahren“, erklärt Weiss. „Das heißt, wenn von den
Betreuungskräften beispielsweise auch erwartet wird, den Keller zu
entrümpeln oder sich um die Enkelkinder zu kümmern, kommt kein Vertrag
zustande. Auch bei extrem intensiven Betreuungssituationen, wie schwerer
Demenz, müssen wir leider ablehnen. Zu unseren Aufgaben gehört es dann
aber auch, betroffene Familien ehrlich zu beraten und gegebenenfalls
eine stationäre Versorgung vorzuschlagen.“ Bevor die Betreuungskraft
beim Pflegebedürftigen einzieht, lernt das Team von Mecasa die Familie
kennen, lässt sich das für die Betreuungskraft vorgesehene Zimmer zeigen
und die Pflegesituation erklären. Nur wenn alles passt, vermittelt
Mecasa eine Betreuerin (oder einen Betreuer, knapp zehn Prozent der
Betreuungskräfte bei Mecasa sind nämlich männlich). Der konsequente
Vermittlungsprozess hat seinen Preis, 23 Prozent der Anfragen lehnt
Mecasa ab. „Das bedeutet für uns zwar einen geringeren Umsatz. Wir
fühlen uns aber Familien und Betreuungskräften gleichermaßen
verpflichtet. Mit einer nicht funktionierenden Pflege ist keiner Seite
geholfen“, erklärt Weiss.
Die von Mecasa vermittelten Betreuerinnen und Betreuer stammen zum
überwiegenden Teil aus Osteuropa, sind aber oft schon seit vielen Jahren
in Deutschland tätig und sprechen die deutsche Sprache gut bis sehr
gut. „Wir legen Wert darauf, dass unsere Betreuungskräfte mindestens ein
Sprachniveau von A2 vorweisen können. Andernfalls wäre eine dauerhafte
Betreuungstätigkeit in Deutschland schwer umsetzbar, “ erläutert Weiss.
Die Betreuerinnen und Betreuer bei Mecasa arbeiten auf Grundlage des
europäischen Entsendegesetzes und unterliegen damit den deutschen
Arbeitsgesetzen: „Zwar hat sich für unsere Branche die
umgangssprachliche Bezeichnung ‚24-Stunden Pflege‘ eingebürgert, die ist
aber irreführend. Denn die Betreuungskräfte dürfen höchstens acht
Stunden pro Tag arbeiten, nur in Ausnahmefällen auch mal zehn. Und zwei
Stunden Pause pro Arbeitstag sowie ein freier Tag pro Woche sind
selbstverständlich Pflicht.“ Damit auch die Besuche in der Heimat nicht
zu kurz kommen, wechseln sich bei Mecasa zwei Betreuungskräfte pro
Pflegebedürftigem ab. „Pflege ist eine geistig und körperlich
anstrengende Arbeit. In den meisten Fällen ist eine Betreuungskraft zwei
bis drei Monate im Einsatz. Danach wird sie von der zweiten
Betreuungskraft abgelöst, bei der ebenfalls im Vorfeld abgeglichen
worden ist, ob sie charakterlich zum Pflegebedürftigen passt.“
Die Betreuungskräfte sind keine medizinischen Pfleger. Als Faustregel
gilt, dass die Betreuenden das übernehmen, was im Zweifelsfall auch
Angehörige leisten würden. Dazu gehören Tätigkeiten im Haushalt, Hilfe
bei der Körperpflege (die sogenannte Grundpflege), Unterstützung bei
Arztbesuchen oder gemeinsame Ausflüge. „Die Entlastung der Angehörigen
ist eines der Ziele bei der Pflege.“
# Gefordert: DIN-Zertifizierung für die häusliche Betreuung
Neben der psychologischen Betreuungskraft-Vermittlung hat sich Mecasa
noch ein weiteres Ziel gesteckt: Ein offizielles Gütesiegel für die
Pflegevermittlung. „Der Pflege- und Betreuungsmarkt in Deutschland ist
sehr intransparent“, sagt Weiss. Für viele Pflegebedürftige und ihre
Angehörigen sei es extrem nervenaufreibend und zeitintensiv, die
passende Betreuungskraft zu finden. Manche würden sogar von fragwürdigen
Geschäftemachern hinters Licht geführt. „Es gibt für die Vermittlung
häuslicher Betreuung nicht ausreichend gesetzliche Vorgaben.“ Für
Betroffene sei der Vergleich zwischen Angebot und Arbeitsweise der
Pflegeagenturen enorm schwierig. „Eine einheitliche, geschützte
Zertifizierung würde hier weiterhelfen.“ Gemeinsam mit dem Deutschen
Institut für Normung (DIN) und renommierten Pflegeexperten entwickelt
Mecasa deshalb Vorgaben für den Vermittlungsprozess, die in einen
DIN-Standard einfließen sollen.
# Vom MIT ausgezeichnet
Für ihre Arbeit hat das Mecasa-Team hochrangige Preise erhalten. Vom
Massachusetts Institute of Technology (MIT) wurde das Start-up zum
Europagewinner der „Inclusive Innovation Challenge“ gekürt. „Mit unserer
psychologischen Matchingplattform haben wir die Jury überzeugt“,
berichtet Weiss stolz. Vor allem die individuelle Pflegevermittlung in
Kombination mit angemessenen Arbeitsbedingungen habe Mecasa aus der
Bewerbermasse herausstechen lassen.
Auf die Frage, warum sich Mecasa gerade in der Region Stuttgart
niedergelassen hat, antwortet Oliver Weiss: „Natürlich hätten wir auch
nach Berlin gehen können, aber in der Start-up-Szene der Hauptstadt geht
es leider oft nur um das schnelle Geld und Wachstum. Ein Unternehmen
aus dem sozialen Bereich mit eigener Kraft großzumachen, das passt viel
besser zu den sogenannten schwäbischen Werten. In der Region Stuttgart
fühlen wir uns daher sehr wohl.“
Johanna Hellmann